Um gut verzinste Alt-Verträge loszuwerden, versuchen einige Finanzinstitute Kunden zur Kündigung zu drängen oder die Verträge zu beenden. Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil vom Mai 2019 aber nicht generell erlaubt, dass Sparkassen kündigen dürfen, sondern nur in ganz bestimmten Fällen.
Warum kündigen Finanzinstitute laufende Alt-Verträge?
Wenn der Kunde lästig wird: In Zeiten aktueller Niedrigzinsen versuchen einige Finanzinstitute Kunden aus langfristigen, gut verzinsten Sparverträgen zu drängen – oder diese Verträge vor Ende der vertraglich vereinbarten Laufzeit zu kündigen. Das zeigt eine Untersuchung bundesweit erhobener Verbraucherbeschwerden durch das Marktwächterteam der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Und dabei werden die Finanzinstitute vielfach kreativ:
Damit Kunden ihre Verträge selbst beenden, heben einige Finanzinstitute beispielsweise einseitig die Nachteile der Verträge hervor, andere appellieren an die Verantwortung für das Bausparkollektiv oder drohen die Kündigung an, wenn man nicht den Tarif wechselt. In anderen Fällen legen Finanzinstitute Verträge zu Lasten der Kunden eng aus und nutzen beispielsweise eine nicht geleistete Nachzahlung der Sparbeiträge oder Anpassung der Tarife für eine Kündigung. Schließlich berufen sich einige auch auf gesetzliche Regeln für Darlehen, um Sparverträge zu kündigen.
Alter Sparvertrag gekündigt: Wer ist betroffen?
Betroffen sind neben zahlreichen Bausparverträgen in erster Linie Prämiensparverträge verschiedener Sparkassen. Diese wurden häufig schon in den 1990iger Jahren abgeschlossen und zeichnen sich durch vergleichsweise geringe variable Sparzinsen aus, die mit zunehmender Laufzeit durch fest vereinbarte, steigende Prämien ausgeglichen werden sollen.
Nun, da vielfach die höchste Prämienstufe erreicht ist, versuchen einige Sparkassen, diese Verträge zu beenden.
Dürfen Finanzinstitute gut verzinste Alt-Verträge kündigen?
Einige Kreissparkassen begründen die Kündigungen von Prämiensparverträgen beispielsweise damit, als Unternehmen dem "Gebot der Wirtschaftlichkeit" zu unterliegen. Wir meinen dagegen: Auch Kunden und Kundinnen müssen wirtschaftlich denken und sind darauf angewiesen, rentable Verträge abzuschließen und zu behalten. Das berücksichtigen nur wenige Finanzinstitute, etwa indem sie bei Beendigungen alle vereinbarten Zinsen vorab bezahlen oder Verbraucher:innen zumindest einen finanziellen Ausgleich anbieten.
In den betroffenen langfristigen Spar- und Bausparverträgen ist ein Kündigungsrecht der Anbieter:innen häufig nicht vereinbart. Um dennoch kündigen zu können, nutzen einige die Regelungen des BGB, u. a. des Darlehensvertragsrechts. Diese Kündigungsrechte sind umstritten: Verbraucherzentralen und unser Bundesverband (vzbv) gehen im Wege der Verbandsklage gegen verschiedene Anbieter vor.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 14. Mai 2019 entschieden, dass Sparkassen langfristige Verträge unter Umständen kündigen dürfen, wenn die versprochenen Prämien gezahlt worden sind (Az. XI ZR 345/18). In dem Fall hatten Sparer:innen gegen die Kündigungen ihrer "S-Prämiensparen flexibel"-Sparverträge der Kreissparkasse Stendal in Sachsen-Anhalt geklagt. Vertraglich vereinbart waren steigende Prämien nur bis zum Ablauf des 15. Sparjahrs - die sollten schrittweise bis auf 50 Prozent auf die geleisteten Sparbeiträge ansteigen. Eine feste Laufzeit oder eine Mindestlaufzeit war aber in den Sparverträgen nicht vereinbart.
Nach Meinung des BGH, können betroffene Kund:innen sich nicht gegen eine Kündigung wehren, wenn die Prämien aus der vereinbarten Prämienstaffel erreicht worden sind und in den Verträgen sonst nichts anderes vereinbart wurde. Im verhandelten Fall war eine Prämienstaffel vereinbart, die nach 15 Jahren endet und nach dem 15. Jahr die höchste Prämie in Aussicht stellte. Diese Prämie muss dann auch gezahlt werden, bevor die Sparkasse kündigen darf.
Achten Sie darauf, ob eine Laufzeit vereinbart ist
Das muss aber nicht automatisch heißen, dass eine Kündigung der Sparkasse auch in Ihrem Fall rechtens ist: Falls in Ihrem Vertrag – anders als in den vom BGH verhandelten Fällen – eine Laufzeit vereinbart ist, darf die Sparkasse also grundsätzlich nicht vor Ablauf der Laufzeit kündigen. Das gilt auch bei sehr langen Laufzeiten, etwa über 1188 Monate, also 99 Jahren. Das ist inzwischen herrschende Rechtssprechung: Denn das Grundsatzurteil des Oberlandesgerichtes Dresden (Az.: 8 U 1770/18) wurde durch die Urteile der Landgerichte Stendal (Az. 22 S 104/18), Frankfurt/Oder (Az: 19 S 7/19) und Zwickau (Az: 6 S 54/19) so bestätigt.
Der BGH hat Nichtzulassungsbeschwerden (AZ XI ZR 100/20 und AZ XI ZR 623/19) der Sparkasse Zwickau zurückgewiesen. Da das Institut jedoch nicht bereit war, die Sparverträge auch bei den Betroffenen, die nicht geklagt, sondern sich lediglich an die DSGV-Schlichtungsstelle gewandt hatten, wieder in den alten Stand zu setzen, wurden mit Unterstützung der Verbraucherzentrale Sachsen 7 weitere Klagen beim AG Zwickau anhängig gemacht. Verträge mit einer vereinbarten Laufzeit und einer längeren als die 15-jährige Prämienstaffel sind nicht vorher durch die Sparkassen ordentlich kündbar.
Unklar ist die Rechtslage noch bei Verträgen, die im Zeitablauf eine steigende Prämie vorsehen. Dann können noch einige Jahre folgen, in denen Sie die höchste Prämie bekommen sollten. Ist in Ihrem Vertrag zum Beispiel konkret fixiert, dass die Prämie vom 15. Laufzeitjahr bis zum 25. Laufzeitjahr 50 Prozent beträgt, dann erreicht die Prämie erstmals mit dem Ablauf des 15. Laufzeitjahres ihren Höchstwert und soll vertragsgemäß für zumindest weitere 10 Jahre gezahlt werden. Unser Standpunkt ist, dass ein solcher Vertrag nicht einfach nach 15 Jahren gekündigt werden darf – Sie haben ein Recht auf die weiteren 10 Jahre mit der hohen Prämie.
So hat dies jüngst in einem solchen Fall auch das OLG Nürnberg am 29. März 2022 entschieden (Az: 14 U 3259/20 ): „Der Senat ist demgegenüber der Ansicht, dass durch die konkrete Ausgestaltung der Prämienstaffel das ordentliche Kündigungsrecht der Beklagten für die Dauer sämtlicher im Vertrag explizit genannter Sparjahre ausgeschlossen sein soll, d.h. bis einschließlich des zwanzigsten Sparjahres.“
Wichtig an dieser Entscheidung ist auch, dass das Gericht klarstellte, dass die Gestaltung des Vertragsformulars gerade im Hinblick auf Kündigungsrechte der Parteien verwirrend gestaltet sei. Dies gehe zulasten der Sparkasse als Verwender der Klauseln.
Im Widerspruch zu diesem ausführlichen und nachvollziehbar begründeten Urteil des OLG Nürnberg steht allerdings ein Hinweisbeschluss des BGH vom 18. Januar 2022 (BGH, XI ZR 104/21). Hier hat dieser angedeutet, dass er der Auffassung ist, dass das Kündigungsrecht der Sparkasse nur bis zum erstmaligen Anspruch der Verbraucher:innen auf die vertraglich fixierte Höchstprämie ausgeschlossen ist. Warum es – trotz vertraglicher ausdrücklicher Vereinbarung – interessengerecht sein sollte, dass die Sparkasse den Verbraucher:innen den Anspruch auf die für mehrere Jahre zugesicherten Prämien vorenthalten darf, hat der BGH in diesem Hinweisbeschluss nicht dargelegt.
Die Verbraucherzentralen halten daher an ihrer Rechtsauffassung fest, die vom OLG Nürnberg gestützt wird, dass das Kündigungsrecht der Sparkasse solange ausgeschlossen ist, bis der Zeitraum abgelaufen ist, in welchem die Sparkasse konkrete Prämienansprüche zugesagt hat. Angesichts des Hinweisbeschlusses vom 18. Januar 2022 besteht aber ein Risiko, dass der BGH dieser Einschätzung nicht folgen könnte. Hier ist daher die weitere Rechtsprechung abzuwarten.
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