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Podcast: Containern - Wunderwaffe gegen Lebensmittelverschwendung?

Stand:
Allein in Deutschland landen jährlich Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Das sogenannte Containern ist die Rettung von genießbarem Essen aus den Abfalleimern von Gastronomie und Handel. Eine vermeintlich gute Tat mit oftmals negativen Folgen, wenn man dabei erwischt wird...
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Darum geht's:

Containern und andere (wirksamere) Mittel gegen gute Lebensmittel in unseren Mülltonen

Eine von Mitgliedern der Bundesregierung angeregte Gesetzesreform soll das Containern, mit dem zuweilen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung einhergehen, weitgehend straffrei machen. Aber wie viel kann das Retten von Lebensmitteln aus den Abfalleimern von Handel und Gastronomie wirklich bewirken, um das immense Ausmaß der Lebensmittelverschwendung in Deutschland einzuschränken? Und welche Rolle spielen Privathaushalte bei diesem Vorhaben? Wir klären auf und geben gute Tipps zum verantwortungsvollen Umgang mit unserem Essen, die garantiert nicht für die Tonne sind.

Zu Gast: Britta Schautz, Projektleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Berlin.

Die Übersichtsseite Genießen statt Wegwerfen finden Sie auf Verbraucherzentrale.de.

genau genommen - Der Podcast der Verbraucherzentralen wird gefördert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags.

Wir freuen uns über Lob, Kritik und Themenwünsche per E-Mail an podcast@vz-bln.de. Weitere Informationen finden Sie auf verbraucherzentrale.de.

Transkript

Die ganze Podcastfolge zum Nachlesen

Hier klicken, um das Transkript zu öffnen...

Patrick Lohmeier (Intro) [00:00:00] Wir Verbraucherinnen und Verbraucher sollten viel mehr über Lebensmittelverschwendung reden - oder zumindest nachdenken - und was das für uns in unserem Alltag bedeutet. Aber eben auch für die Umwelt und für die Wirtschaft. [00:00:14] Und für alle Menschen. [00:00:16] Immerhin reden wir gerade über das Thema Containern, also die Rettung von noch verwertbaren, das heißt genießbaren Lebensmitteln aus den Abfalleimern von Gastronomie und Handel. [00:00:26] Und warum ist das gerade so ein heißes Thema? Nicht zuletzt deswegen, weil sich sowohl Ernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir als auch Justizminister Marco Buschmann im Vorfeld der Grünen Woche 2023 für eine Gesetzesreform rund um das Containern aussprachen. [00:00:41] Aber was würde die bringen, jetzt mal ganz realistisch? Und was können wir im Alltag tun, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden? Und der Handel... [00:00:50] ...und die Landwirtschaft und die Großindustrie und überhaupt? [00:00:54] Antworten darauf weiß meine Kollegin Britta Schautz, mit der ich mich über das Thema Lebensmittelverschwendung und Containern unterhalten durfte. Und ich freue mich sehr darüber, dass Sie sich die Zeit nehmen, uns zuzuhören. [00:01:04] Dies ist genau genommen, der Podcast der Verbraucherzentralen. Mein Name ist Patrick Lohmeier und schön, dass Sie dabei sind.

Patrick Lohmeier [00:01:21] Wir reden bei genau genommen über Containern und Lebensmittelverschwendung und meine Gesprächspartnerin ist Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin. Hallo, Britta!

Britta Schautz [00:01:29] Hallo, Patrick!

Patrick Lohmeier [00:01:30] Britta, erzähl mir mal bitte, was du so machst bei der VZ.

Britta Schautz [00:01:35] Ich leite das Projekt Lebensmittel und Ernährung und da informieren wir Verbraucherinnen und Verbraucher vom Kitakind bis zum Senior zum Thema gesunde und nachhaltige Ernährung. Und auch, was jeder tun kann, um sich eben gesund und nachhaltig zu ernähren, [00:01:48] und da gehört Lebensmittelverschwendung natürlich dazu.

Patrick Lohmeier [00:01:50] Wir haben uns die Themen Nachhaltigkeit und verantwortungsvoller Konsum ganz groß auf die Fahnen geschrieben in diesem Format und ich bin immer sehr, sehr dankbar, wenn wir so ein Thema haben, an dem wir das eben auch ganz [00:02:00] konkret festmachen können. Denn so ein Wort wie Nachhaltigkeit ist immer sehr, sehr groß, aber eben auch sehr schwammig und Containern und Lebensmittelverschwendung sind etwas ganz konkretes. Fangen wir an mit einer [00:02:11] vielleicht ganz platten, rhetorischen Frage: Warum sollte das Thema Lebensmittelverschwendung uns alle etwas angehen?

Britta Schautz [00:02:19] Ja, so rhetorisch finde ich die Frage gar nicht, denn manche Menschen haben das Problem noch gar nicht ganz erfasst. Wir reden ja viel über die Klimakrise und über Ressourcen, die irgendwo endlich sind. Und mit jedem weggeworfenen Lebensmittel [00:02:31] ist ein total hoher Verbrauch an Energie an Wasser und an anderen Rohstoffen in der gesamten Wertschöpfungskette - also vom Anbau am Feld bis das Lebensmittel im Supermarkt landet - verbunden. [00:02:43] Wenn man jetzt mal ein ganz bildliches Beispiel haben will: [00:02:47] Die Menge der weggeworfenen Lebensmittel, das sind knapp 30% der weltweit verfügbaren Anbauflächen, die dafür unnötig genutzt werden. [00:02:56] Das ist wirklich viel. Also Flächen, die wir haben, auf denen wir unnütz Lebensmittel anbauen, weil wir die wegwerfen. [00:03:03] Und diese Lebensmittelverluste wirken sich dementsprechend natürlich auch negativ aufs Klima aus. [00:03:09] Wir haben ja Lebensmittelmüll, der lässt sich vermeiden, beispielsweise durch bessere Planung und so weiter. Und wenn man den mal hochrechnet auf die ganze EU, [00:03:17] dann verursacht dieser vermeidbare Müll die gleiche Menge klimaschädliche Gase wie die gesamten Niederlande pro Jahr freisetzen. Also wie ein ganzes Land.

Patrick Lohmeier [00:03:27] Das klingt schon wahnsinnig groß und trotzdem ist es irgendwie nicht so wirklich greifbar. Ich habe das Gefühl, dass das Thema Lebensmittelverschwendung als wirkliches maßgebliches [00:03:36] Problem unserer Zeit auch so ein bisschen verschwindet innerhalb der anderen großen ökologischen wie ökonomischen Krisen, weil [00:03:42] wir gar nicht wahrnehmen, dass sie überhaupt passiert. Wo und in welcher Form findet Lebensmittelverschwendung statt?

Britta Schautz [00:03:50] Das stimmt. Also wir merken das wirklich wenig. Einfach, weil wir auch wenig darüber nachdenken. Und eigentlich fängt die Lebensmittelverschwendung schon auf allen Stufen der Wertschöpfungskette an. Sind wir mal auf dem Feld, beim Bauern, da ist eine ganz kleine Kartoffel. [00:04:05] Die kann der Bauer nicht an den Handel absetzen, weil der Handel sagt: Okay, die Kartoffeln müssen so und so groß sein. Die wird dann auf dem Feld wieder untergepflügt und gar nicht erst geerntet. Und spannenderweise, rein rechtlich gesehen, [00:04:17] zählt sie gar nicht zu den Lebensmittelabfällen, denn sie wurde noch nicht geerntet und ist somit kein Lebensmittel. Sie wird aber trotzdem untergepflügt, obwohl man sie hätte essen können. Dann [00:04:26] können wir weitergehen zur Verarbeitung von Lebensmitteln. Da gibt's Tomaten, die vielleicht nicht rot genug sind für die Tomatensoße. Und die werden vom Verarbeiter dann [00:04:34] weggeworfen. Oder auch im Lebensmittelhandel: Der Blumenkohl, der vielleicht nicht verkauft wurde, weil zu viel bestellt wurde und die Leute diese Woche keinen Blumenkohl kaufen wollten. [00:04:44] Oder auch die Nudeln, die du oder ich vielleicht im Restaurant nicht aufessen konnten, weil einfach die Portion zu groß war. [00:04:51] Und das Brot, was ich selber zu Hause vergessen habe und das deshalb vielleicht verschimmelt ist. Das heißt: Lebensmittelverschwendung passiert über die gesamte Wertschöpfungskette an jeder Stelle. [00:05:03] Es ist auch ein ethisches Problem. Wir hatten eben schon über den ökologischen Aspekt gesprochen. Wenn man bedenkt, dass wir 700 Millionen Menschen haben, die weltweit Hunger leiden und wenn wir ein bisschen besser mit den Lebensmitteln umgehen würden, müsste das eigentlich gar nicht passieren.

Patrick Lohmeier [00:05:18] Zum Themenkomplex verantwortungsvoller Umgang mit Lebensmitteln gehört auch das Containern. Das wird ja gerade politisch und medial auch eifrig diskutiert - darauf komme ich gleich noch. Was haben wir uns darunter vorzustellen?

Britta Schautz [00:05:31] Kurz zusammengefasst ist eigentlich Containern, dass Menschen noch genießbare Lebensmittel aus dem Müllcontainer des Einzelhandels holen, um sie dann selber zu essen.

Patrick Lohmeier [00:05:41] Und warum landen die Lebensmittel in den Containern des Einzelhandels?

Britta Schautz [00:05:45] Das kann viele verschiedene Gründe haben. Also man kann beispielsweise eine Fehlkalkulation machen. Wenn wir jetzt an Sommermonate denken und der Händler hat sich jetzt gedacht: Okay, da werden ganz viele Menschen grillen, dann bestelle ich mal Grillfleisch und andere Sachen. Zum Beispiel Brot. [00:06:00] Freitag fängt's an, zu regnen. Die Leute kaufen also keine Grillutensilien. Und dann sitzt er auf diesen Produkten. Kann natürlich sein, dass sie dann in der Tonne landen. [00:06:08] Obst oder Gemüse, die im Lager vergessen werden, und die dann entweder verderben und Schimmel haben und entsorgt werden müssen, die könnte ich natürlich nicht mehr essen. [00:06:15] Aber es gibt z.b. auch Bananen. Die haben schon braune Flecken. Die könnte ich noch essen. Die sehen aber nicht mehr so frisch aus. Die werden dann manchmal-- magst du braune Bananen?

Patrick Lohmeier [00:06:23] Also [00:06:25] jeder hat da seine eigene Präferenz oder ihre eigene Präferenz und ich mag gerne das Mittelding. Aber du hast natürlich Recht. Ich ertappe mich auch dabei, dass ich bevorzugt die Banane aus dem Pappkarton nehme im Supermarkt meiner weil, die eben noch möglichst grün sind oder vielleicht nur leicht gelb [00:06:40] und ungerne zu denen greife, die vielleicht schon den ein oder anderen braunen Fleck haben.

Britta Schautz [00:06:44] Genau. Und das geht vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern so. Deswegen werden die manchmal aussortiert und in die Tonnen gegeben. Dabei könnte man die wirklich noch essen. Zum Beispiel im Smoothie schmecken die super. [00:06:55] Und dann kann natürlich auch immer dazu kommen, dass Kühl- oder Tiefkühlgeräte ausfallen. Oder dass sie auch falsch eingestellt werden. Dann ist die Kühlkette unterbrochen und dann darf der Händler das gar nicht mehr verkaufen. Dann haben wir [00:07:06] Feiertage wie Ostern und die Ostersüßigkeiten, die werden vielleicht nicht komplett gekauft. Dann landen die auch manchmal in der Tonne. [00:07:15] Oder manche Supermärkte haben auch so interne Regeln zur Frische. Also Brot zum Beispiel, das soll noch [00:07:21] einige Tage vor Ablauf des MHD verkauft werden - also das Mindesthaltbarkeitsdatum - obwohl das sogar nach Ablauf dieses Datums noch gut sein könnte. [00:07:30] Dann wird das vielleicht schon vorher aussortiert, entweder damit das Regal natürlich frisch und frisch befüllt aussieht, oder auch, [00:07:39] weil wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, [00:07:42] dann muss der Händler garantieren, dass dieses Lebensmittel sicher ist. Vorher ist es der Hersteller. Aber wenn das Datum überschritten ist der Händler verantwortlich dafür und das kann einige dazu bewegen, dass dieses Produkt dann aussortiert wird.

Patrick Lohmeier [00:07:55] Ich habe immer die mit wirklich guten Lebensmitteln gefüllten Mülltonnen vor dem geistigen Auge, wenn ich an einer großen Feinkostkette, die sich auch in vielen Berliner Einkaufszentren findet, vorbeigehe und dort immer die schon aufbereiteten Fertiggerichte [00:08:10] im sehr hochpreisigen Segment sehe. Und ich denke mir: Es 17 Uhr nachmittags - nie im Leben kriege ihr das alles verkauft [00:08:16] Heute ist Samstag, morgen hat das Ding zu. Was passiert eigentlich mit dem, was ich da in der Auslage sehe?

Britta Schautz [00:08:20] Das ist auch ein riesiges Problem im Handel, dass diese Produkte eben bis zum Ladenschluss noch vorgehalten werden. Aber man muss sagen, da hat auch schon so ein Umdenken stattgefunden. Man sieht es jetzt häufiger, dass diese Frischebacktheken [00:08:32] nicht mehr befüllt werden nach einer bestimmten Uhrzeit und das ist ja schon mal ein Fortschritt.

Patrick Lohmeier [00:08:37] Auf jeden Fall. Warum wird das Thema Containern ausgerechnet jetzt, im Frühjahr 2023, so heiß diskutiert?

Britta Schautz [00:08:45] Containern gibt es ja schon länger und es wird schon länger diskutiert. Aber ganz aktuell hat der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir das Containern und das Legalisieren des Containerns als Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung ins Gespräch gebracht. [00:09:00] Natürlich, weil es irgendwo diese ethische Komponente hat. Es ist nicht vertretbar, dass wir Lebensmittel wegwerfen. Und auch diese ökologische, also man könnte was gegen Lebensmittelverschwendung tun. [00:09:10] Und Containern wird seit Jahren schon praktiziert von Menschen, die vor allem gegen Lebensmittelverschwendung vorgehen wollen.

Patrick Lohmeier [00:09:16] Ich glaube, da musst du zuallererst einmal unsere Hörerinnen und Hörer, aber auch mich, auf den aktuellen Stand bringen, was die Gesetzeslage betrifft. Wie sieht die aktuell hinsichtlich des Containerns aus?

Britta Schautz [00:09:28] Ja, wenn man übers Containern redet, dann gibt es mehrere Dinge, die schon einen Straftatbestand auslösen könnten. Also man stelle sich vor: Diese Container, die stehen ja auf dem Gelände von dem Einzelhändler. Und in der Regel [00:09:42] ist das Ganze auch umzäunt. Also man kommt da nicht so rein. Wenn ich da also eindringe, dann hätten wir schon mal den Hausfriedensbruch. [00:09:49] Dann sind diese Container ja häufig auch mit Schlössern oder mit anderen Vorrichtungen gesichert. Ich müsste die theoretisch gewaltsam öffnen oder aufbrechen. Und dann könnte das schon Sachbeschädigung sein, denn so ein Schloss kriege ich ja nicht einfach so auf. [00:10:03] Also hätten wir schon die zweite Sache. Und dann [00:10:06] ist auch dieses Rausnehmen von den Lebensmitteln - die gehören ja noch dem Händler, wenn sie in dieser Tonne sind. Das wären Diebstahl und Unterschlagung. Das heißt, wir hätten mehrere Sachen, die auslösen könnten, dass eine Strafe [00:10:19] für denjenigen bevorsteht, der das gemacht hat.

Patrick Lohmeier [00:10:22] Du nutzt jetzt auch hier und da schon, glaube ich, ganz bewusst den Konjunktiv. Werden denn da die gesetzlichen Mittel ausgeschöpft zur strafrechtlichen Verfolgung der Menschen, die jetzt mal nicht unbedingt ein Schloss aufknacken - vielleicht ist das auch schon bisschen hart - aber über den Zaun klettern, um [00:10:37] eine Mülltonne von vermeintlich guten Lebensmitteln zu befreien? Also die da rauszuholen?

Britta Schautz [00:10:42] Genau, ich habe die ganze Zeit im Konjunktiv gesprochen, denn [00:10:46] wir reden zwar gerade über diese Entkriminalisierung und klar, das, was ich gesagt habe, das sind Straftatbestände. Aber auch jetzt schon bestehen Möglichkeiten, dass man dafür nicht verurteilt wird. [00:10:57] Wenn ich jetzt der Eigentümer dieses Geländes bin, dann kann man selber sogar das Strafverfahren abwenden, wenn man nämlich quasi [00:11:06] nicht von seinem Strafantragsrecht Gebrauch macht, was den Hausfriedensbruch angeht. Oder auch die Sachbeschädigung. Denn das sind auch Antragsdelikte, d.h. der Eigentümer müsste diesen Strafantrag stellen. Wenn er das nicht macht, [00:11:18] dann passiert auch keine Strafe. [00:11:20] Das ist ja schonmal eigentlich ganz positiv. Und nicht nur der Eigentümer dieses Geländes kann dafür sorgen, dass diese Delikte eben keine Straftaten sind - auch zum Beispiel bei Diebstahl Unterschlagung... dann müsste er auch keine Anzeige stellen. [00:11:34] Auch die Staatsanwaltschaft könnte sagen "Okay, das ist eher ein geringes Vergehen" und da gibt es Möglichkeiten in der Strafprozessordnung zu sagen: Diese Tat verfolgen wir gar nicht oder wir stellen das Strafverfahren vorzeitig ein. [00:11:49] Und kommt dann die Sache vor das Strafgericht, dann kann man auch im Rahmen dieses Sanktionssystems die Möglichkeit ziehen, dass das Ganze moderat bestraft wird, also beispielsweise durch eine Verwarnung oder auch [00:12:02] durch geringe Strafen. Das heißt, man sieht schon, dass wir auch ohne diese Entkriminalisierung trotzdem schon die Möglichkeit hätten, dass eigentlich gar keine Bestrafung erfolgen muss.

Patrick Lohmeier [00:12:12] Ah okay, also da ist eine gewisse Flexibilität gegeben bei der Gesetzesanwendung in der Strafverfolgung des Containerns. Aber wie der bereits von dir zitierte Herr Özdemir sagte: Es bedarf einiger gesetzlicher Reformen. Welche wären das?

Britta Schautz [00:12:26] Wenn man jetzt das Ganze noch stärker entkriminalisieren möchte, dann [00:12:31] könnte man drüber nachdenken, dass man die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren ändert und das ist jetzt auch gerade das, was der Bundeslandwirtschaftsminister und die Justizministerinnen und Justizminister der Länder diskutieren. Das Containern [00:12:46] soll ihrer Meinung nach nur noch dann bestraft werden, wenn wirklich ein Hausfriedensbruch vorliegt, [00:12:51] der - und jetzt muss ich mal zitieren damit das auch wirklich richtig ist - über die Überwindung eines physischen Hindernisses ohne Entfaltung eines wesentlichen Aufwands hinausgeht [00:13:01] oder gleichzeitig den Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt. Also wenn ich zum Beispiel einen Zaun aufbreche, das wäre ein gutes Beispiel. [00:13:09] Und wenn jetzt alle Bundesländer dieser Empfehlung folgen, dann müssten wir eigentlich gar keine Gesetzesänderung auf Bundesebene herbeiführen.

Patrick Lohmeier [00:13:18] Hast du ein gutes Beispiel für mehr oder weniger aktuelle Rechtsprechung diesbezüglich, wie das Containern geahndet wird?

Britta Schautz [00:13:25] Man muss sagen, dass viele Verfahren zum Containern eingestellt werden oder dass die Menschen, die das gemacht haben, eher gering bestraft werden. Also die Urteile, die mir vor Augen sind, sind einmal eine Geldstrafe [00:13:37] oder auch Sozialstunden. Und passenderweise wurde jemand, der das gemacht hat, zu Sozialstunden bei Die Tafel verurteilt. Also er darf jetzt ehrenamtlich bei der Tafel helfen, Lebensmittel zu verteilen. Finde ich eigentlich auch [00:13:49] ganz okay.

Patrick Lohmeier [00:13:50] Ist mal eine hübsche Ironie, auf jeden Fall.  [00:13:54] Du sagtest aber auch, dass gewisse Reformen notwendig sind. Was würde eine mögliche Gesetzesänderung, die Containern, oder ich nenne das an dieser Stelle auch mal Lebensmittelrettung, straffrei oder weitgehend straffrei macht, bewirken? [00:14:07] Jetzt noch mal ganz ausdrücklich gesagt: Wir gehen jetzt hier nicht von eklatanten Gesetzesverstößen, bei denen Menschen zu Schaden kommen oder Eigentum mutwillig und in großem Umfang beschädigt wird, aus, sondern natürlich von [00:14:18] kleinere Delikten, bei denen man nach der jetzigen Rechtsprechung bei dem man sagen würde: Ist ja niemand zu Schaden gekommen und es wurden nur ein paar Lebensmittel gerettet.

Britta Schautz [00:14:24] Ja genau, also wir reden ja auch über die Lebensmittel, die die Händler freiwillig in diese Tonne geben, die ansonsten im Müll landen würden. Das sehe ich ganz genauso, das ist wirklich eher geringfügig. Und ich glaube, [00:14:35] die allermeisten Menschen sind sich einig, dass es ethisch und ökologisch nicht vertretbar ist, dass die genießbaren Lebensmittel dort überhaupt landen. Und genau deshalb wird ja auch diese Entkriminalisierung des Containerns als eine Maßnahme gewertet, [00:14:48] die Lebensmittelverschwendung vermeiden soll. [00:14:51] Wir könnten dadurch natürlich auch Lebensmittel vor der Tonne retten. Aber insgesamt wird das wahrscheinlich sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch gar nicht so viel ausmachen. [00:15:01] Denn wenn man sich mal die Zahlen anguckt, wo eigentlich Lebensmittelabfälle anfallen, dann ist es im Handel relativ wenig. [00:15:08] Wir haben 7% aller Lebensmittelabfälle in Deutschland im Handel. Das sind so etwa 800.000 Tonnen Lebensmittel [00:15:16] jährlich. Das klingt jetzt erstmal viel. Wenn man es aber mal vergleicht mit Privathaushalten, die werfen jedes Jahr etwa 6,5 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll.

Patrick Lohmeier [00:15:27] Ich dividiere mal runter. Das sind dann ungefähr, Pi mal Daumen, 100 Kilogramm pro Einwohner in Deutschland. Vielleicht etwas weniger.

Britta Schautz [00:15:35] Es sind etwa 78 Kilogramm.

Patrick Lohmeier [00:15:36] Okay, 78 Kilo. Also meine Stärken liegen woanders als im Kopfrechnen, wie man gerade merkt. Aber das reicht ja auch. Also das Lebendgewicht, mehr oder weniger, eines Menschen.

Britta Schautz [00:15:45] Richtig. Also da wäre schon mal deutlich mehr Einsparpotenzial. Und was man immer auch bedenken muss, [00:15:52] diese Tonnen des Einzelhandels, da sind ja nicht nur die Lebensmittel drin, die man noch essen könnte, also die braunfleckige Banane oder irgendwas, [00:16:00] sondern eben auch wirklich verschimmelte Produkte, die man nicht mehr essen kann. Die auch gesundheitsschädigend sein können. Und wenn ich jetzt diese genießbaren Lebensmittel da rein lege, [00:16:10] die nicht verpackt sind und die nun neben schimmligen Lebensmitteln liegen, dann können dadurch Krankheitserreger von diesen nicht mehr einwandfreien Produkten auf die guten Produkte übergehen. [00:16:20] Das kann dann wirklich ein Risiko sein für die Menschen, die das da rausholen, und möglicherweise sehe ich das nicht und ich schmecke das nicht. [00:16:26] Und von daher wünschen wir uns auch, dass wirklich im Einzelhandel nur noch das in der Tonne landet, was wirklich nicht mehr genießbar ist und dass sie alles andere vorher abgeben. [00:16:37] Sei es an eine soziale Einrichtung beispielsweise. Oder Sie können die Lebensmittel auch einfach reduziert oder sogar kostenfrei an die Kunden des Supermarktes abgeben. [00:16:45] Stell dir vor, du kaufst deinen Wocheneinkauf und dann liegt da noch einen schlapper Salat und den kannst du noch kostenfrei mitnehmen. Das würde nämlich auch den Menschen mit geringem Einkommen zugute kommen. [00:16:55] Zusätzlich noch müsste auch niemand in den Mülltonnen nach Essbarem suchen.

Patrick Lohmeier [00:16:59] Du hast zwei Größen gerade genannt, 800.000 Tonnen an verschwendeten Lebensmitteln durch den Handel und über sechs Millionen Tonnen - immer noch eine unvorstellbar große Größe für mich - seitens der Privathaushalte. Ist es damit getan? [00:17:14] ist das dann die Gesamtmenge und der verschwendeten Lebensmittel in Deutschland pro Jahr?

Britta Schautz [00:17:18] Leider noch lange nicht, denn [00:17:20] durchschnittlich landen in den deutschen Tonnen auf allen Stufen der Wertschöpfungskette fast zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. [00:17:29] Denn wir haben noch die Lebensmittelverarbeitung, die zum Beispiel die Tomatensoße herstellt. Wir haben natürlich noch [00:17:37] die Bauern, die was ernten, und da kann natürlich auch etwas verschimmeln. Beispielsweise bei schlechter Lagerung. [00:17:43] Und wir haben auch noch als großen Faktor die Außerhaus-Gastronomie. Also Kantinen und Restaurants. Da kann man auch noch mal ansetzen, weil gerade in der Außerhaus-Verpflegung [00:17:55] fällt sehr viel Lebensmittelmüll an. Denn wenn du zum Beispiel die Portion Nudeln bestellst und du schaffst sie nicht, dann darf kein anderer Gast deine Nudeln bekommen. Also das, was du auf dem Teller zurücklässt, [00:18:04] das darf nicht mehr zurück in die Küche. Muss also weg. [00:18:07] Wir haben mit allen Verbraucherzentralen gerade aktuell einen MARKTCHECK gemacht. Es gibt ja eine Strategie der Bundesregierung gegen Lebensmittelverschwendung. Und die fasst auch [00:18:17] Empfehlungen zusammen, die auf allen Stufen der Wertschöpfungskette umgesetzt werden sollen, um eben Lebensmittelverschwendung zu vermeiden. Und dazu gehört auch, kleine Portionen anzubieten [00:18:27] oder die Gäste dazu aufzufordern, ihre Reste mitzunehmen, weil dann man das zuhause noch essen.

Patrick Lohmeier [00:18:32] Empfehlungen, also das sind keine gesetzlichen Verpflichtungen.

Britta Schautz [00:18:34] Leider ja, das sind Empfehlungen, richtig. Wir haben mal Speisekarten gecheckt von über 150 Restaurants und nur bei jedem fünften Restaurant gab es kleine Portionen von Hauptgerichten - eine der Empfehlungen - [00:18:47] und es wurden ganz ganz selten die Verbraucher auch darauf hingewiesen, dass sie ihre Reste mitnehmen können. Da könnte wirklich viel passieren. [00:18:54] Und beim Einzelhandel sind es jetzt auch gar nicht unbedingt nur die Sachen die er wegwirft, wo man noch etwas verbessern könnte, sondern auch die Vorgaben, die er zum Beispiel an die Landwirte stellt. [00:19:04] Wir haben geguckt: In den Supermärkten sind ganz viel Obst und Gemüse in Klasse 1 zu finden, das sind besonders und schöne besonders große Exemplare. [00:19:12] Wenn dann also ein Apfel zu klein ist, dann kann er gar nicht erst geerntet werden. Und hier könnte der Handel auch noch ganz viel tun, damit alle Produkte im Supermarkt landen können und nicht auf dem Feld verbleiben müssen. [00:19:23] Das wäre schon mal ein guter Schritt.

Patrick Lohmeier [00:19:25] Das sind auf jeden Fall gute Schritte [00:19:28] in Richtung der Landwirtschaft, des Handels und der Gastronomie. Was können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher innerhalb unserer Privathaushalte tun, eventuell auch schon beim Einkaufen im Supermarkt, um Lebensmittelverschwendung zu vermeiden?

Britta Schautz [00:19:42] Genau, ganz wichtig ist, dass wir alle uns des Problems bewusst sind und uns an die eigene Nase fassen. Denn die meisten Abfälle, die landen in den privaten Mülltonnen. [00:19:51] Und es fängt schon damit an, sich zu überlegen: Was will ich denn eigentlich einkaufen? Was will ich denn kochen? [00:19:57] Und sogar noch wichtiger, bevor ich so eine Einkaufsliste mache, ist, nachzuschauen, was habe ich denn noch zu Hause. Denn ganz oft vergisst man irgendwelche Lebensmittel hinten im Regal und die werden dann schlecht. [00:20:09] Das heißt, [00:20:10] ich muss mir überlegen was habe ich zu Hause, was will ich kochen, was muss ich zusätzlich einkaufen und was mache ich mit den Resten, die ich noch habe? Kann ich daraus noch andere Lebensmittel machen... andere Gerichte? Kann ich die einfrieren oder kann ich meinen Nachbarn etwas davon abgeben? [00:20:24] Das ist ein bisschen die Grundlage, der klassische Einkaufszettel. Und dann [00:20:29] darf ich mich im Supermarkt auch nicht von tollen Angeboten verleiten lassen und zu viel kaufen. Ich sollte mich wirklich daran halten. [00:20:35] Außerdem gehört dazu, die Lebensmittel zu Hause richtig zu lagern. Also gerade dieses Problem: Ich vergesse etwas hinten im Schrank. [Die Lösung:] Neue Produkte immer nach hinten stellen und die alten nach vorne rutschen lassen. [00:20:47] Gleichzeitig auch: Lebensmittel richtig lagern. Also zum Beispiel den Apfel gerne in den Kühlschrank zu legen, denn da hält er länger und bleibt länger knackig. Aber andere Produkte wie die Banane beispielsweise mögen den Kühlschrank nicht. [00:21:00] Hast du das auch schon getestet?

Patrick Lohmeier [00:21:01] Habe ich auch schon getestet, ja. Wir machen unseren Wocheneinkauf an Samstagen, zumindest in den allermeisten Fällen. Und bei uns hat sich mittlerweile der "Resterampe-Freitag" etabliert. Das heißt, wir gucken in den Kühlschrank, was noch übrig ist und versuchen dann, aus den übriggebliebenen Resten von einem anderem Gericht [00:21:15] ein Neues zu zaubern. Und ich möchte mal sagen, es fördert die Kreativität beim Kochen. [00:21:21] In den allermeisten Fällen schmeckt es sogar richtig gut und wir sind oft ganz überrascht darüber was sich aus, naja, einem angebrochenen Glas Wiener Würstchen und ein bisschen Käse und einer halben Packung Reis und so weiter und so fort machen lässt.

Britta Schautz [00:21:33] Genau, das ist ein richtig guter Tipp.

Patrick Lohmeier [00:21:35] Vielleicht nicht genau in der Kombination. Also bevor hier jemand in die Küche rennt und sagt "Danke für den Tipp!"...

Britta Schautz [00:21:40] Ja, aber das Schöne daran ist, wir haben als Verbraucherzentrale auch ein bisschen den Auftrag, Menschen aufzuklären zum Thema Lebensmittelverschwendung, [00:21:49] also wie kann ich das vermeiden, und deswegen haben wir eine große Landingpage, auf der kann ich mich noch mal ganz genau informieren zu den Fragen: Wie kann ich das zu Hause vermeiden? Wie muss ich Lebensmittel lagern? Was gibt's für Resterezepte? Oder auch: Wie kann ich Lebensmittel länger haltbar machen? [00:22:03] Zum Beispiel durch Einlegen... Marmelade kochen... oder fermentieren. Da gibt es viele tolle Tipps und die kann man alle noch mal nachlesen.

Patrick Lohmeier [00:22:09] Und auf diese Seite verlinken wir natürlich auch und dann muss man hier auch keine größere Suchmaschine bemühen. [00:22:15] Vielen herzlichen Dank, liebe Britta, für die Aufklärung rund um die Rechtslage zum Containern und natürlich die spannenden Infos rund um das Thema Lebensmittelverschwendung. Und ein besonders großes Dankeschön für die wirklich guten Tipps [00:22:27] zur Lebensmittelrettung in Privathaushalten. Ich glaube, die helfen uns allen weiter. Dankeschön!

Patrick Lohmeier (Outro) [00:22:48] Dies war genau genommen für heute. Vielen Dank an alle Menschen, die die Produktion dieser Podcastreihe ermöglichen. Und natürlich vielen Dank an Sie fürs Zuhören. [00:22:57] Diese Folge, wie auch alle weiteren Episoden von genau genommen, können Sie übrigens in allen Podcatchern und Audio Apps hören. [00:23:03] Dort können Sie diesen Podcastn auch abonnieren. Darüber würde ich mich freuen und ich würde mich freuen, wenn Sie uns weiterempfehlen. [00:23:10] Weitere Informationen zum Thema Lebensmittel, bewusster Konsum und natürlich auch zum Containern finden Sie auf www.verbraucherzentrale.de. [00:23:17] In ein paar Tagen hören uns zu einer neuen Folge genau genommen hoffentlich wieder. Bis dahin erreichen Sie mich für Feedback und Themenwünsche, Lob, Kritik und Ideen per E-Mail an podcast@vz-bln.de. [00:23:29] Mein Name ist Patrick Lohmeier und ich freue mich auf ein Wiederhören.

 

Lob, Kritik, Fragen und Themenwünsche können Sie gerne an podcast@vz-bln.de schicken!

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